Afrikanischer Tanz - was ist das eigentlich?

In Afrika, insbesondere südlich der Sahara, gehören Musik, Tanz und Gesang untrennbar zusammen und prägen die Kulturen und das Alltagsbewusstsein der Menschen. Manche Tänze dienen gesellschaftlichen Zwecken oder der Unterhaltung – andere besitzen eine tiefe spirituelle Bedeutung. So unterscheidet man Kriegstänze, Fruchtbarkeitstänze, Initiationstänze, Begrüßungstänze und Tänze zur Anrufung von Geistern oder Gottheiten.


Die lange Zeit verbreitete eurozentrische Sicht auf die afrikanische Tanzkultur ist eine Folge des Kolonialismus. Jahrhunderte lang herrschte die Meinung vor, der Afrikanische Tanz kenne keine Regeln, sei wild und obszön. Dazu führten vor allem die Behauptungen von europäischen Politikern, Geschäftsleuten, Forschern und Missionaren, das alte Afrika habe bis zur Ankunft der Europäer noch in der Steinzeit gelebt und keine eigene Kultur geschaffen.1


Wir wissen heute, dass es viele sehr alte Kulturen auf dem afrikanischen Kontinent gab und gibt und der afrikanische Tanz zu den großen kulturellen Schöpfungen der Menschheit gehört.2
Er ist durch den Sklavenhandel nach Amerika gekommen und bildete dort die Grundlage für die Entstehung zahlreicher weiterer Tanzstile wie beispielsweise dem Jazz Dance oder dem Batuque, aus dem
sich die modernen Sambaformen entwickelten.3, 4


Von Amerika gelangten die Einflüsse nach Europa und weiter zurück nach Afrika, wo inzwischen - wie auch in Europa und überall auf der Welt - die unterschiedlichsten Tanzstile und -richtungen einen Einfluss auf regionale Tänze nehmen.3, 5


Im wesentlichen gibt es sechs große afrikanische Tanzstile und Tanzprovinzen, eingeteilt nach der jeweils verschiedenen Aktivierung der einzelnen Körperzentren: den saharischen, den sudanischen, den
westafrikanischen, den zentralafrikanisch-kongolesischen, den südafrikanischen und den ostafrikanischen Tanzstil.6


  • Der saharische (Nordafrika): wird charakterisiert durch hohe Sprünge mit beiden Beinen.
  • Der sudanische (Tschad, Mali, Burkina Faso, Niger, Senegal, Guinea, teilw. Liberia): Hauptzentren sind isolierte Beine und Arme, Motionen des Kopfes, der weiblichen Brüste und typische durch die Füße erzeugte harte Klänge
  • Der westafrikanische (Südliberia, Elfenbeinküste, Ghana, Togo, Benin bis Nigeria): bevorzugt Bewegungen der Beine und Arme, dazu kommen stark isolierte Motionen des Schultergürtels, des Rückens und vor allem des Beckens
  • Der zentralafrikanisch-kongolesische (Grenzgebiet Nigeria-Kamerun, Südkamerun, Gabun, Rep. Kongo, DR Kongo, Zentralafrikanische Republik, Angola und Teile Sambias): ist total polyzentrisch und daher weitgehend binnenkörperlich, wichtigstes Zentrum ist das Becken
  • Der (Bantu-) südafrikanische: Sprung- und Stampftänze, wobei die Beine völlig anders eingesetzt werden, als im sudanischen oder westafrikanischen Stil, Level-Bewegungen, Level-Wechsel und Fallbewegungen sind wichtige Bestandteile
  • Der (Bantu-) ostafrikanische (Mocambique, Tansania, Kenya, Uganda): hier stehen Beckenbewegungen im Vordergrund


Charakteristisch für alle Tanzstile des Afrikanischen Tanzes und gleichzeitig seine grundlegenden Bestandteile sind Isolation, Koordination und die Polyzentrik. Letztere ist die tänzerische Entsprechung der Polymetrik oder Polyrhythmik in der traditionellen afrikanischen Musik.7, 8


Während in europäischen Standardtänzen oder im klassischen Ballett eine möglichst einheitliche und ganzheitliche Bewegung des Körpers angestrebt wird, unterteilt sich in der sog. Polyzentrik der Körper in verschiedene Bewegungszentren, die räumlich und rhythmisch unabhängig voneinander eingesetzt werden. Das bezeichnen wir als Isolation. Koordination bedeutet, es bewegen sich gleichzeitig mehrere Zentren isoliert voneinander.9


Weitere typische Merkmale sind der rhythmische Wechsel von Anspannung und Entspannung, die sogenannte 'Collapse-Grundhaltung' 10, 11 (Begriff wurde im Jazz Tanz geprägt), die eine Isolation einzelner Körperteile erst ermöglicht, und das „Tanzen in den Boden“, mit dem die Bewegung zur Erde, die in der Regel auf dem Beat erfolgt, betont wird. Der Afrikanische Tanz unterscheidet sich hiermit komplett von den sog. 'weißen Tanzstilen', die mit ihren Bewegungen aufwärts, nach oben streben und Leichtigkeit, ja Schwerelosigkeit vermitteln wollen, auch durch ihre aufrechte, gerade und lang gestreckte Haltung des Oberkörpers.12


Der Afrikanische Tanz hingegen geht aus den Alltagsbewegungen ursprünglicher, naturverbundener Kulturen hervor und beinhaltet aus diesem Grund natürliche und damit gesunde Bewegungen. Sie
entsprechen der natürlichen Struktur des Körpers und das zeigt sich in harmonischen, ökonomischen und flexiblen, in den Gelenken nachgebenden, Bewegungen.13

Seit einigen Jahren genießt der Afrikanische Tanz auch in Europa zunehmend Beachtung. Durch die Tanzdarbietungen afrikanischer Künstler inspiriert, finden auch immer mehr Europäer und Deutsche Zugang zu den lebendigen Rhythmen und ausdrucksstarken Bewegungen – zu Musik, Bewegung und Lebensfreude.

  1. Vgl. Helmut Günther: Jazz Dance - Geschichte, Theorie, Praxis, Berlin 2005, S 14
  2. Vgl. Helmut Günther: Jazz Dance - Geschichte, Theorie, Praxis, Berlin 2005, S 14
  3. Vgl. Helmut Günther: Jazz Dance - Geschichte, Theorie, Praxis, Berlin 2005, S 10 f., S. 33, 37 ff.
  4. Vgl. Silke Hubrig: Afrikanischer Tanz - Zu den Möglichkeiten und Grenzen in der deutschen Tanzpädagogik, In: Studien 2002, Hrsg. Björn Bedey, Hamburg, Diplomica GmbH, S. 19, 24
  5. Vgl. Silke Hubrig: Afrikanischer Tanz - Zu den Möglichkeiten und Grenzen in der deutschen Tanzpädagogik, In: Studien 2002, Hrsg. Björn Bedey, Hamburg, Diplomica GmbH, S. 22
  6. Vgl. Helmut Günther: Jazz Dance - Geschichte, Theorie, Praxis, Berlin 2005, S 29 ff.
  7. Vgl. Helmut Günther: Jazz Dance - Geschichte, Theorie, Praxis, Berlin 2005, S 20 ff.
  8. Vgl. Silke Hubrig: Afrikanischer Tanz - Zu den Möglichkeiten und Grenzen in der deutschen Tanzpädagogik, In: Studien 2002, Hrsg. Björn Bedey, Hamburg, Diplomica GmbH, S. 27 ff.
  9. Vgl. Helmut Günther: Jazz Dance - Geschichte, Theorie, Praxis, Berlin 2005, S 20, 23
  10. Vgl. Helmut Günther: Jazz Dance - Geschichte, Theorie, Praxis, Berlin 2005, S 22 f.
  11. Vgl. Silke Hubrig: Afrikanischer Tanz - Zu den Möglichkeiten und Grenzen in der deutschen Tanzpädagogik, In: Studien 2002, Hrsg. Björn Bedey, Hamburg, Diplomica GmbH, S. 27
  12. Vgl. Helmut Günther: Jazz Dance - Geschichte, Theorie, Praxis, Berlin 2005, S 100 f.
  13. Vgl. Silke Hubrig: Afrikanischer Tanz - Zu den Möglichkeiten und Grenzen in der deutschen Tanzpädagogik, In: Studien 2002, Hrsg. Björn Bedey, Hamburg, Diplomica GmbH, S. 58